Protestantisch und Evangelisch

Evangelisch und Protestantisch. Ist das eigentlich dasselbe? Oder gibt es da einen Unterschied? Dieser Frage geht Paul Metzger nach. Er ist Dekan in Ludwigshafen, in der Evangelischen Kirche der Pfalz, die sich im Untertitel Protestantische Landeskirche nennt. Von 2009 bis 2017 war Metzger Catholica-Referent am Konfessionskundlichen Institut des Evangelischen Bundes in Bensheim.

Evangelisch und Protestantisch: Zwei Seiten einer Haltung

Offensichtlich kann eine Kirche als „evangelisch“ und „protestantisch“ bezeichnet werden, aber genauso klar ist auch, dass beide Begriffe je für sich eine Bedeutung haben müssen – sonst wäre die Klammer im Namen unnötig.

Ein Blick in den „Katechismus der christlichen Religionslehre zum Gebrauche beim Religionsunterricht in den protestantisch-evangelisch-christlichen Kirchen und Schulen“, der 1823 in Speyer erscheint und fünf Jahre nach der Gründung der besagten Kirche für Kinder ihren Glauben und ihren Charakter zusammenfasst, kann heute noch bei der Beantwortung der gestellten Frage helfen. Der Autor des Katechismus, der weltliche Konsistorialrat Johann Friedrich Butenschoen, einer der Väter der Union, gibt in zwei Fragen dezidiert Auskunft – zwar wenig kindgerecht, aber inhaltlich äußerst modern.

In Frage 136 wird gefragt, warum die vor wenigen Jahren entstandene Kirche eigentlich „protestantisch“ heißt. Die Antwort lautet: „Weil sie das edelste Recht des vernünftigen Menschen, frei und redlich in der Erkenntnis der wohlgeprüften Wahrheit fortzuschreiten, mit christlichem Mut in Anspruch nimmt, gegen alle Geistesknechtschaft wie gegen allen Gewissenszwang ewigen Widerspruch einlegt, und ungestörte innere Glaubensfreiheit behauptet.“

Es ist leicht ersichtlich, dass das Unbehagen, das moderne und eher einfühlsame Zeitgenossen oft empfinden, wenn sie „protestantisch“ hören, unbegründet ist. Es geht nicht darum, ständig gegen etwas zu sein. Dieser Meinung liegt ein Missverständnis zugrunde, das sich durch die Herkunft des Begriffs erklären lässt. Auf dem Reichstag zu Speyer 1529 legen die „evangelischen“ Fürsten gegen die Verhängung der Reichsacht über Martin Luther Protest ein. Von dieser „Protestatio“ leitet sich der Name ab, aber auch dort geht es inhaltlich um ein positives Element. Das nimmt auch der Katechismus richtig auf.

Im Zentrum legt der Protestantismus „ewigen Widerspruch“ gegen jeglichen Zwang in Sachen Denken und Glauben ein. Gegen die Knechtschaft des Geistes, gegen jeglichen Zwang des Gewissens zu sein, bedeutet für eine ungestörte Freiheit im Glauben einzutreten. „Protestantisch“ ist eine Kirche, wenn sie für die Freiheit des Glaubens ihre Stimme erhebt. Diese Freiheit liegt im Recht des Menschen begründet, seinen Glauben vernünftig durchdenken zu dürfen. Dazu gehören Mut und die Prüfung jeglicher Wahrheit. Dies liest sich ungemein modern. Im Rahmen der Religion (und auch darüber hinaus) darf es keinen blinden Gehorsam geben, keine Autorität, die sich nicht vernünftig legitimieren kann. „Protestantische“ Kirchen verbürgen also die Freiheit ihrer Mitglieder, sie sind dem Zusammenspiel von Glauben und Denken verpflichtet und achten darauf, dass Kirche sich immer wieder selbst kritisch hinterfragt und aus diesem ewigen Dialog neu geprüft hervorgeht.

In der nächsten Frage geht es um den zweiten Begriff: Warum heißt diese christliche Kirche denn auch noch „evangelisch“?
Der Katechismus sagt:
„Weil sie durchaus keinen andern Glaubensgrund erkennt, als allein die heilige Schrift, und in dieser, ganz besonders das Evangelium nach den klaren Aussprüchen des Stifters der christlichen Religion.“

Mit dieser Antwort legt der Katechismus eine ganze Hermeneutik der Heiligen Schrift vor. Er fasst Luthers Verständnis des Sola Scriptura richtig auf, indem er es mit dem Solus Christus in Beziehung bringt. „Evangelisch“ ist eine Kirche, wenn sie „allein die Heilige Schrift“ als einzige „Regel und Richtschnur“ erkennt und keine weiteren Quellen der Offenbarung akzeptiert. Es gibt kein (unfehlbares) Lehramt, das die Schrift autoritativ auslegen darf. Der einzige „Glaubensgrund“ einer „evangelischen“ Kirche muss allein die Schrift sein. Und weil die Schrift sehr umfangreich und zuweilen widersprüchlich ist, muss auch innerhalb der Schrift ein Kriterium gefunden werden, das die Selbst-Auslegung möglich macht. Luther bezeichnet dies als „das, was Christum treibet“. Der Katechismus nimmt dies auf und nimmt die „Aussprüche des Stifters“ als Kriterium der Auslegung. Ob Jesus von Nazareth oder der Christus des Glaubens hier gemeint ist, kann ausgeblendet bleiben. Wichtig ist, dass „evangelisch“ sich am „Evangelium“ orientiert und diese frohe Botschaft wiederum ist der gepredigte Christus in Person. In dieser Perspektive ist also klar, dass beide Begriffe tatsächlich zusammenspielen.
Inhaltlich macht „evangelisch“ deutlich, dass eine „evangelische“ Kirche die frohe Botschaft von Christus verkündet. Und weil sie das tut, muss sie von daher auch eine „protestantische“ Kirche sein, weil sie nach außen dort ihre Stimme erhebt, wo ein „Zwang des Gewissens“ droht.
„Evangelisch“ und „protestantisch“ sind demnach zwei Seiten einer Haltung: der des aufgeklärten, mutigen und freien Glaubens.


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