„Die Goldenen Zwanziger“ ist der Titel des neuen Sammelbandes, den der Evangelische Bund Hessen mit Unterstützung der Hessischen Landeskirchen veröffentlicht hat. Die Herausgeber Elisabeth Engler-Starck, Lars Hillebold, Astrid Maria Horn und Matthias Ullrich schreiben dazu:
20 Persönlichkeiten aus Kunst, Gesellschaft und Kirche haben für uns einen Blick zurück geworfen, und werfen dabei erhellende Schlaglichter auf unsere Gegenwart. Darunter sind schrille und nüchterne, bunte und graue Seiten einer 100 Jahre entfernten Welt. Und zwischendurch wird immer wieder Karl Barths spezifischer Blick auf die damalige Welt eingeflochten und versucht, seine Aussagen für unsere Zeit fruchtbar zu machen.
In ihrem Vorwort verdeutliche die vier Herausgeber was der Untertitel „Zwischen den Zeten“ bedeutet:
„Die »Goldenen Zwanziger« werden sie genannt, oder auch »Roaring Twenties« – die Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Ob in Buchreihen, Filmen oder Serien, diese Epoche gewann in den letzten Jahren immer mehr an Aufmerksamkeit. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen meist der Glamour, die ausschweifenden Partys, das beschwingte und sorglose Lebensgefühl. Den Tatsachen entspricht das nicht. Zu Beginn der Zwanzigerjahre, noch geprägt von den Eindrücken des vergangenen Weltkriegs und getroffen von einer starken Inflation, hätten wohl die wenigsten Deutschen auf ein »goldenes« Jahrzehnt gehofft.
Und doch steht das Jahrzehnt, dem ein verheerender Krieg voranging und mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten ein weiterer folgen sollte, wie kaum ein anderes für ein Gefühl der Freiheit, für Glamour und Fortschritt: Emanzipation, Frauenwahlrecht, facettenreiche Entwicklungen in Kunst und Kultur. Das Kino als Massenmedium, das einen Blick in die weite Welt erlaubte …
Aber das alles galt nur für einen Teil der Deutschen, für die urbane Gesellschaft mit den entsprechenden finanziellen Möglichkeiten. Nicht vergessen darf man die nicht ganz so goldene Kehrseite: Arbeitslosigkeit, Armut, Wirtschaftskrise, aus dem Krieg zurückgekehrte verwundete und traumatisierte Soldaten.
Dass diese Zeit immer noch stark verklärt wird, könnte daran liegen, dass sie als Zeit zwischen zwei Kriegen und den damit einhergehenden großen gesellschaftlichen Umwälzungen in Erinnerung bleibt. Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass diese Epoche die letzte ist, die unbelastet von der Zeit des Nationalsozialismus gedacht werden kann – eine verklärte Zeit der Unschuld, in die es kein Zurück mehr gibt. Und vielleicht spielt auch eine Rolle, dass zumindest Teile der »Goldenen Zwanziger« uns überraschend modern erscheinen, im Vergleich zur verstaubten Hausfrauenidylle der Nachkriegszeit.
Theologisch hat der Schweizer Theologe Karl Barth die Zwanzigerjahre entscheidend geprägt. Das Jubiläum seines 1922 in überarbeiteter Fassung erschienenen Römerbriefkommentars lag unseren Überlegungen zu diesem Buch zugrunde. Doch allein Barths theologische Aussagen zu betrachten und zu aktualisieren, das erschien uns als zu kurzgegriffen. Und so entwickelte sich die Idee, die theologischen Texte in das Lebensgefühl der Zwanzigerjahre einzubetten.
Kurze Impulse zu Barths Texten rahmen daher die Beiträge zu gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und theologischen Themen. Die Beiträge machen die Ambivalenz der Zwanzigerjahre sichtbar, zeigen die verschiedensten Facetten der Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts auf und bieten Ausblicke auf »unsere« Zwanzigerjahre.
Im Auftakt zu diesem Buch stellen zwei einleitende Texte zum einen die Zwanzigerjahre als »Achsenzeit« dar und zum andern die Theologie Karl Barths. Danach wagen wir einen bunten Durchgang durch vier Themenfelder: Gesellschaft im Umbruch, Politik nach dem Zusammenbruch, Kunst und Kultur im Durchbruch und Theologie und Kirche im Aufbruch. Jedes dieser Themenfelder beginnt mit einer kurzen Auseinandersetzung mit Karl Barth und dem Versuch, seine Aussagen für unsere heutigen Zwanziger fruchtbar zu machen.
Im Themenfeld Gesellschaft im Umbruch wird ein weiter Bogen gespannt, der Einblicke in die goldeneren und die nicht so goldenen Zwanzigerjahre enthält – das Thema Mode hat hier genauso seinen Platz wie das Thema »Spanische Grippe«. In Politik nach dem Zusammenbruch werden sowohl einzelne Ereignisse als auch größere Zusammenhänge beleuchtet, inklusive eines Blicks in die internationale Politik. Unter dem Titel Kunst und Kultur im Durchbruch beschäftigen sich die Autorinnen und Autoren mit Personen und Objekten aus ganz verschiedenen kulturellen Bereichen, zwei Texte beleuchten unterschiedliche Perspektiven des »Bauhaus«. Und schließlich sind unter Theologie und Kirche im Aufbruch Themen des kirchlichen Lebens angesprochen – eine bunte Sammlung von Katholizismus bis Frauenordination.
Die Autorinnen und Autoren werfen Schlaglichter auf die goldenen und auch die nicht ganz so goldenen Themen mit dem ein oder anderen Ausblick in unsere heutigen Zwanzigerjahre. Herausgekommen ist ein bunter Rückblick mit kleinen Streiflichtern auf das, was wir für »unsere« Zwanzigerjahre vielleicht mitnehmen können, dieses gerade begonnene Jahrzehnt, in dem sich – ähnlich wie damals – der technische Fortschritt und die gesellschaftlichen Entwicklungen rasend schnell zu verändern scheinen. Genau wie damals wissen wir nicht, welche Pfade dieses Jahrzehnt nehmen wird. Wird es rückblickend auch ein »goldenes« sein? Wir dürfen gespannt sein … „
Mehr wird hier nicht verraten. Das Buch ist in der Evangelischen Verlagsanstalt erschienen und kostet 20 Euro. ISBN 978-3-374-06766-4