Webinar 18.3.22 – Das ändert alles

oben: Dr. Eberhard Pausch, Dr. Mirjam Sauer | unten: Dr. Sigurd Rink, Dr. Dagmar Heller

Der Überfall auf die Ukraine und die evangelische Friedensethik

Eine Zusammenfassung des Workshops vom 18. März 2022 von Elisabeth Engler-Starck
Die Statements sowie das Podiumsgespräch auch als Videos zum Nachschauen.

Scherbenhaufen“, „Epochenschwelle“, „Reform der Friedensethik“ oder doch „keine Zeitenwende“ – so steht es in Titeln aktueller Artikel evangelischer Online-Publikationen zum russischen Angriff auf die Ukraine. Daher bat Moderatorin Dr. Mirjam Sauer die ca. 80 Teilnehmerinnen zu Beginn des Webinars um ihr Votum in 2 Fragen: 1. Erleben wir gerade eine Zeitenwende? 2. Sollte die Evangelische Kirche ihre Friedensethik revidieren? Während auf die erste Frage gute 2/3 der Teilnehmerinnen mit Ja antworteten, ist das Bild bei der zweiten Frage uneindeutig: Die Optionen „Ja“, „Nein“ und „Weiß nicht“ lagen fast gleich auf.
Im Expert*innen-Gespräch trafen Dr. Dagmar Heller, Referentin für Ostkirchen am Konfessionskundlichen Institut Bensheim, Dr. Sigurd Rink, Vizepräsident des Evangelischen Bundes und ehemaliger Militärbischof sowie Dr. Eberhard Pausch, Referent an der Evangelischen Akademie Frankfurt und Mitverfasser der EKD-Friedensdenkschrift von 2007, aufeinander und bereicherten die Diskussion mit ihren jeweiligen fachlich versierten Perspektiven.

Dr. Dagmar Heller, als Expertin für orthodoxe Kirchen derzeit medial sehr gefragt, gab zu Beginn einen Überblick über die religiöse Landschaft in der ukrainischen und russischen Orthodoxie: Nur eine der in der Ukraine existierenden orthodoxen Kirchen ist vom Moskauer Patriarchat anerkannt. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine haben sich beide Orthodoxen Kirchen in der Ukraine gegen den Krieg und für eine Unabhängigkeit der Ukraine ausgesprochen – auch der Vertreter des Moskauer Patriarchats in der Ukraine. Der Moskauer Patriarch Kyrill hingegen unterstützt Putin und den Krieg. Die Haltung „der“ russisch-orthodoxen Kirche muss also differenziert betrachtet werden. Für zukünftige ökumenische Gespräche mahnte Dr. Heller an, dass die protestantischen Kirchen (insbesondere in Gesprächen mit der Orthodoxie) in Zukunft stärker Zeugnis der friedensethischen Haltung ablegen müsse.

Von Luthers „Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sind“ zum „gerechten Kriege“ in der EKD-Friedensdenkschrift gab Dr. Sigurd Rink zunächst einen Überblick über die Entwicklung der evangelischen Friedensethik. Er wies darauf hin, dass in unserer Zeit ein gerechter Friede nur global gedacht werden kann – die internationalen Verflechtungen in einer globalisierten Welt (Stichwort: fossile Brennstoffe, Getreidelieferungen u.ä.) lassen eine rein lokale Betrachtung von Kriegen und akut des Kriegs um die Ukraine nicht zu. Rink mahnte an, dass friedensethische Diskussionen Denkräume offenlassen müssen: Wenigstens die Komplexität, die die EKD-Friedensdenkschrift aufgemacht hat, nicht zu unterschreiten ist ein hoher Wert.

Dr. Eberhard Pausch wies darauf hin, dass wir doch eher keine Zeitenwende erleben: Kriege hat es in den letzten Jahren immer gegeben, sie wurden nur weniger wahr genommen. Er mahnte daher an, an einer realistischeren Wahrnehmung der Weltwirklichkeit zu arbeiten. Aussagen, die bisherige Friedensethik sei überholt und in Scherben, seien dagegen nicht hilfreich. In Bezug auf eine evangelische Friedensethik nennt er 3 Grundpfeiler: Der friedensethische Leitbegriff muss Frieden sein, nicht Krieg. Gerechtigkeit muss leitend sein. Es muss einen Vorrang der Prävention vor der Intervention geben. Er wies aber auch darauf hin, dass Friedens Politik und Friedensethik nicht dasselbe sei und dass sich Kirche dessen bewusst sein muss.


Elisabeth Engler-Starck
Geschäftsführerin Evangelischer Bund Hessen
engler-starck@evangelischer-bund.de