Alle Tage Ostern

„Bei uns Christen ist alle Tage Ostern.“ schreibt Martin Luther 1530 in seiner Auslegung zu Psalm 111. „Alle Tage Ostern?“ – was soll das bedeuten? „Warum können wir nicht jeden Tag Ostereier suchen?“ fragt bestimmt das eine oder andere Kind begeistert nach dem Fest. Erwachsene werden ihm erklären, dass auch das schönste Fest irgendwann langweilig wird, wenn man es permanent wiederholt und man auch nicht jedes großartige Ereignis beliebig oft wiederholen kann. „Alle Tage Ostern“ in Luthers Text geht tiefer: Es geht nicht um bloße Wiederholung – gerade die Nichtwiederholbarkeit macht das Osterfest aus: Jeder Mensch wird geboren, jeder Mensch stirbt, aber die Auferstehung Jesu ist einzigartig. 

In seiner Auslegung erklärt Luther, dass es durchaus „fein und löblich“ ist, einmal im Jahr Ostern zu feiern, als Erinnerung an die Zeit, zu der Jesus Christus gestorben und auferstanden ist. Die Einzigartigkeit des Ereignisses zeigt sich schon an Karfreitag: Jesu Kreuzestod ist nicht selbsterklärend – er ist radikal und entzieht sich dem rationalen Verständnis. Er ist auch zunächst kein Grund zum Feiern. Das Wort Karfreitag kommt vom althochdeutschen „kara“ – Klage, Trauer. Die liturgische Farbe des Tages ist schwarz, vielerorts werden die Altäre abgeräumt oder verhüllt. Die Glocken schweigen, weil Gott seinen Sohn – und damit sich selbst! – für die Menschen hingegeben hat. Es ist dieser Tod, den die Christen an Karfreitag betrauern, denn nichts ist endgültiger als der Tod. Aber Ostern ändert alles: Durch die Auferstehung ist der Tod überwunden, aus der Karfreitags-Trauer wird ein Oster-Freudenfest.

Martin Luther dachte bei „alle Tage Ostern“ aber nicht daran, dass jeder Tag als Freudenfest gefeiert werden soll. Er erklärt, dass das Gedenken an Leiden und Sterben Jesu eben an keine feste Zeit gebunden ist, sondern „alle Tage gehalten werden kann“. Für Martin Luther ist klar: Wir feiern einmal im Jahr Ostern als großes Fest, aber jedes Gedenken an Jesu Tod (und auch, wenn Luther es hier nicht explizit sagt: seine Auferstehung) ist auch ein kleines Ostern. Diese Art der Wiederholung von Ostern zeigt die Bedeutung des Festes an: Ohne den Kreuzestod Jesu, ohne seine Auferstehung, ohne Ostern wäre der christliche Glaube inhaltsleer – er würde schlichtweg nicht existieren. Und daher ist „bei uns Christen alle Tage Ostern“, weil dieses Ereignis die Welt für Christ:innen nachhaltig verändert hat.


Elisabeth Engler-Starck
Geschäftsführerin EB Hessen
engler-starck@evangelischer-bund.de