Zwischen den Zeiten

Nicht mehr – und noch nicht: Manchmal fühlt sich das Leben wie eine Brücke an

Manche Tage nerven einfach nur, weil ständig etwas dazwischenkommt. Am Morgen noch hatten wir den Tag so schön durchgeplant und bereits am Mittag ist der Tagesplan hin und unsere Todo-Liste schaffen wir auch nicht mehr. Irgendetwas kam wieder einmal dazwischen. Wir sind genervt, weil wir nicht vorankommen, auch wenn wir vielleicht schon gar nicht mehr wissen, wohin wir eigentlich wollten. 

Und jetzt kommt auch noch im Weltmaßstab ständig etwas dazwischen. Zuerst der Klimawandel und dann auch noch Corona. Dabei hatten wir doch alle unsere Pläne. Und wir gingen selbstverständlich davon aus, dass es immer so weitergeht. Klar, dass da viele ärgerlich werden und demonstrieren. Es soll doch bitteschön so weitergehen. Am besten, man leugnet einfach, dass es den Klimawandel und das Virus gibt. Nur, davon gehen sie natürlich nicht weg. Sie sind uns nun mal dazwischengekommen. Und das hat unsere Agenda empfindlich getroffen, im Großen wie im Kleinen.

Seitdem leben wir in einer Art Dazwischenzeit. Es ist nicht mehr wie früher, aber wir wissen auch noch nicht, was kommt. Solche Zeiten mögen unbequem sein, im Rückblick sind sie meist die spannendsten unseres Lebens. Das ist in der Weltgeschichte nicht anders. Wie etwa die 20er Jahre im vorigen Jahrhundert. Man hat sie im Rückblick nicht ohne Grund die „Goldenen Zwanziger“ genannt, auch wenn vieles gar nicht golden war. Wie wird man wohl unsere Dazwischenzeit in der Rückschau einmal bezeichnen? 

Jedenfalls ist, wer sich dazwischen befindet, noch nicht festgelegt. Die Zukunft ist offen und man kann sich noch entscheiden. Es ist wie in der Pubertät. Man ist kein Kind mehr, aber auch noch nicht erwachsen. Und doch muss jetzt entschieden werden, wie man einmal leben will, was man mag und was nicht. 

Vielleicht empfinden wir unsere Zeit auch deswegen so unbequem, weil wir noch zwischen allen Stühlen sitzen und alles zugleich wollen. Wohlstand und Ressourcenverschwendung wie bisher und trotzdem eine gute Zukunft und ein gutes Gewissen. Aber beides schließt sich eben aus. Wir müssen uns entscheiden. Wenn wir nicht konsequent gegen den Klimawandel vorgehen, werden wir die Erde für unsere Nachkommen unbewohnbar machen. Wenn wir uns und andere nicht vor dem Virus schützen, wird es uns früher oder später lahmlegen. 

Im Jahresverlauf ist die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr die klassische Dazwischenzeit. Mancherorts heißt sie auch „Zwischen den Jahren“. 

Eine Ausnahmezeit – das alte Jahr stirbt, das neue ist noch nicht da. Noch blinken – schon unzeitgemäß – die Lichterketten in den Straßen. Hier und da knallen bereits Sylvesterkracherim Winternebel. Es sind Tage des Stillstands wie die Ruhe vor dem Sturm oder die Melancholie vor dem Aufbruch. Deutlicher als sonst spüren wir die Vergänglichkeit, Fragilität und Unverfügbarkeit des Lebens. Wir werden sensibel für das, was wirklich hält und trägt. Dann ist es auch gut, sich jetzt zu entscheiden.


Autor
Matthias Ullrich
1. Vorsitzender des Evangelischen Bundes Hessen
matthias.ullrich@evangelischer-bund.de


Buchtipp

„Zwischen den Zeiten“ erleben wir nicht nur in diesen Tagen, dieses DAZWISCHEN beschreibt auch das Buch „Die Goldenen Zwanziger“ https://www.eva-leipzig.de/product_info.php…